Manipulation der Single-Charts: Gehen die Rapper „dreist und verbrecherisch“ vor?

Rapper Kool Savas ist der Meinung, dass seine Kolleg*innen die deutschen Single-Charts „dreist und verbrecherisch“ manipulieren. Reiner Zufall oder Kalkül?

Damals vs. heute: Werden die deutschen Single-Charts manipuliert?
Quelle: IMAGO / bonn-sequenz

Gefühlt Ewigkeiten ist es her, als wir in die nächstbeste Kaufhalle oder in den Plattenladen unseres Vertrauens gegangen sind, wenn wir uns Musik gönnen wollten. Die Lieder von unseren Lieblingskünstler*innen konnten wir uns nur anhören, wenn wir uns eine Vinyl, eine Kassette oder eine CD zugelegt haben. Richtige Musikfans haben dann noch den TV angeschmissen und sich bei VIVA die „Top 100“ reingezogen, um zu wissen, welche Tracks gerade absolut angesagt sind und vor allem, wie viele Tonträger ungefähr in einer Woche über den Tresen gegangen sein müssen. Diese Zeiten kennt die späte Gen Z wohl nur aus Erzählungen. Denn mittlerweile ist es einfacher denn je, an jedes Musikstück zu kommen, das es gibt - Spotify, Deezer und Co. vermeintlich sei Dank. Dementsprechend sehen auch die Charts anders aus als je zuvor. Streams scheinen mittlerweile die Währung jedes einzelnen Künstlers. Die Chancen, als völliger Newcomer auf Platz 1 der deutschen Single-Charts zu landen, ohne nur einen einzigen Tonträger auf den Markt gebracht zu haben, ist absolut nicht unmöglich. Mittlerweile wird sogar davon gesprochen, dass es Manipulationen in den Single-Charts gibt. 

Doch was ist da wirklich dran an dieser Behauptung? Soundground wagt einen tieferen Einblick in die Materie:

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Deutschrap ist King – allerdings mit Ausnahmen

Es ist offensichtlich, dass Deutschrap derzeit das erfolgreichste Genre ist, das in den deutschen Singlecharts zu finden ist. Rapper wie Apache 207, Bonez MC, Luciano, badmómzjay und Co. sind meistens mit mehreren Tracks gleichzeitig dort drin vertreten. All die genannten Künstler*innen haben sich mittlerweile fest etabliert und eine große Fangemeinschaft aufgebaut. Es gibt jedoch auch immer wieder Überraschungen in den Top 10 zu finden. Ein noch recht junges Beispiel gefällig? Der Künstler Twenty4tim hat sich hauptsächlich als Internet-Star einen Namen gemacht. Doch wer auf Social Media erfolgreich ist, der kann es auch in anderen Sparten werden. Deswegen hat sich auch Tim ein weiteres Standbein als Musiker aufgebaut. Ende Mai veröffentlichte er den Song „Hot or Not“ mit Kitty Kat. Der Track landete direkt auf Platz 1 der deutschen Single-Charts. Doch eigentlich haben die meisten Musikfans damit gerechnet, dass ein anderer Newcomer die Spitze der Charts erklimmen wird: Ski Aggu hat zeitgleich die Neuauflage von Otto Waalkes’ Klassiker „Friesenjung“ veröffentlicht und erreichte nur Platz 3. Eine Woche später hat sich das Blatt jedoch gewendet: „Friesenjung“ stand jetzt auf dem 1. Platz. Doch wo war der Track von Twenty4tim? Richtig, raus aus den Charts. Was war da los?

Die Erklärung ist quasi ganz einfach:

Die deutschen Single-Charts im Vergleich: Twenty4tim landete direkt auf Platz 1 im Gegensatz zu Ski Aggu, Joost und Otto Waalkes. In der Woche darauf hat sich das Blatt allerdings gewendet.
Quelle: Offizielle Deutsche Single-Charts, Offizielle Deutsche Single-Charts

Das Spiel mit den Bundles

Wie konnte es sein, dass Twenty4tim in der einen Woche auf Platz 1 der Single-Charts stand und bereits eine Woche später nicht mehr dort vertreten war? Einige Künstler*innen entscheiden sich dazu, ihren Fans ein ganz besonderes Schmankerl zu bieten und verkaufen neben den physischen Tonträgern auch noch sogenannte Bundles. Das sind Pakete, die besondere Extras wie z.B. T-Shirts, Anhänger oder Puzzle enthalten. Als echter Fan möchte man sich das meistens nicht entgehen lassen, diese limitierten Stücke zu besitzen. Auch Tim Kampmann, wie der Sänger gebürtig heißt, hat Bundles auf den Markt gebracht, diese auf seinen Social-Media-Kanälen beworben und seine Fans darum gebeten, seinen Track so oft wie möglich zu streamen, um an die Spitze der Charts zu gelangen – mit Erfolg. Er hatte also was, was Ski Aggu nicht hatte – zumindest noch nicht. Denn nachdem der Rapper mit der Skibrille nur auf Platz 3 eingestiegen ist, hat er seinem Rivalen den Kampf angesagt und ebenfalls Bundles rausgebracht, damit er in der folgenden Woche auf Platz 1 stehen würde. Und so kam es dann auch. Jedoch zeigt sich auch, dass die Umstände nicht zwingend notwendig gewesen wären, da Ski Aggu, Joost und Otto Waalkes mit „Friesenjung“ etwas geschaffen haben, was Twenty4tim nicht geschafft hat: Sie haben einen Ohrwurm kreiert, der sogar auf TikTok zu einem richtigen Trend wurde. Vier Wochen hielt sich das Trio an der Chartspitze.

Gehen wir mal noch deeper in die Materie rein, denn eine Sache sorgt bei Musikfans für besonders viel Aufregung:

Der Verkauf von Bundles spielt keine unbedeutende Rolle bei der Chartplatzierung.
Quelle: Soundground

Wie die deutschen Charts heute funktionieren

Wer sich wirklich für Musik interessiert, der weiß, dass es ein Mythos ist, dass hauptsächlich die Klickzahlen der einzelnen Tracks zählen. Bleiben wir mal beim Beispiel Twenty4tim vs. Ski Aggu: Kurz vor der Verkündung der neuen Chartwoche stand „Hot or Not“ bei noch nicht mal 300.000 Streams auf Spotify, „Friesenjung“ hingegen hatte bereits über 5 Millionen Streams erreicht. Das zeigt klar und deutlich, dass der Verkauf von Bundles einen großen Teil dazu beigetragen hat, ihn so hoch charten zu lassen. Denn in Deutschland ist es noch immer so, dass die Charts am Wert der verkauften Einheiten berechnet werden. Das bedeutet, dass ein einziger Klick auf den Song weniger wert ist als ein physischer Tonträger in Kombination mit T-Shirts und Co., der verkauft wird. Man kann weder Twenty4tim noch Aggu einen Vorwurf dafür machen. Meistens bringen Musiker*innen erst solche Bundles raus, wenn sie ein Album auf den Markt bringen. Aber mittlerweile machen auch immer mehr Bundles, wenn eine EP oder eine Single gedroppt wird.

 Jedoch sind Streams nicht ganz unbedeutend …

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Mit Klicks die Charts stürmen

Im Mai 2019 sorgte ein Video vom Y-Kollektiv für Aufruhr in den Medien. In der Doku „Der Rap Hack: Kauf Dich in die Charts! Wie Klickzahlen manipuliert werden“ traf der Reporter Ilhan Coskun auf einen Hacker, der den Decknamen Kai benutzte. Er behauptete, dass er Newcomer zu Stars machen kann. Eigentlich noch viel mehr: Die fünf größten deutschen Acts sollen laut ihm zu seinen Kunden gehören. „Es kommen Manager zu mir, die sagen: ‘Wir haben hier gerade einen Künstler. Wir haben hier 50.000 Euro. Was kannst du damit anstellen?’“, erzählt Kai in dem Interview. Teilweise wüssten die Musiker*innen selbst nichts davon, da die jeweiligen Managements ihnen nicht sagen würden, dass sie versuchen wollen, Einfluss auf die Charts zu nehmen. Der Hacker habe Zugriff auf Tausende Nutzerprofile, hauptsächlich bei Spotify. Wenn man ihm Glauben schenken mag, dann soll die Manipulation wie folgt ablaufen: Cyberkriminelle dringen in Benutzerkonten ein, wenn diese nicht aktiv genutzt werden. Mithilfe dieser gekaperten Konten werden Songs in Millionenfach gestreamt. Wenn ein Hacker tatsächlich in großem Umfang die Streamingzahlen manipulieren kann, würde das System untergraben werden. Schließlich hängen die Einnahmen der Künstler*innen von den Streamingzahlen ab. Je mehr Abrufe ein Song verzeichnet, desto eher landet er in populären Playlists und zieht die Aufmerksamkeit der Hörerschaft auf sich. Wenn Songs also eine anfängliche Unterstützung erhalten, wird das System zusätzlich gefördert und steigt weiter auf.

 Ein Beispiel dafür hat der Hacker Kai auch parat:

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Manipulieren Mero und Sero el Mero die Charts?

Während des Interviews weist der Hacker Reporter Ilhan Coskun darauf hin, dass er sich mal die Abrufzahlen der Rapper Mero und Sero el Mero genauer anschauen soll. Auffällig ist, dass die Songs der beiden Artists nur knapp zwei Minuten im Durchschnitt betragen. Die Länge soll ebenfalls entscheidend dafür sein, dass ein Lied die Chance hat, mehrfach hintereinander gestreamt werden zu können. Um zu demonstrieren, wie ausschlaggebend kleine Faktoren zeigen können, wird der Journalist ebenfalls zum Newcomer. Unter dem Namen ERROR291 veröffentlichte er den Song „8K“ mit einer Länge von 1 Minute und 55 Sekunden auf allen bekannten Streamingplattformen. Hacker Kai will ihm beweisen, dass auch Ilhan von 0 auf 1 gehen kann. 

 Doch am Ende kommt alles ein bisschen anders:

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Die Manipulation schlägt fehl

Obwohl der Song beeindruckende 200.000 Klicks auf Spotify und YouTube innerhalb von nur sieben Tagen erzielte, was normalerweise ausreichen würde, um in den Singlecharts zu landen, hat es in diesem Fall nicht geklappt. Trotz der beachtlichen Abrufzahlen schaffte es der Song nicht in die Charts. Der Grund, warum der Test-Track es nicht in die Charts geschafft hat, liegt an der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die für die Ermittlung der Charts verantwortlich ist. Nach Überprüfung der Abrufzahlen dieses Liedes kam die GfK zu dem Schluss, dass etwas nicht stimmt. Demnach hat die GfK anscheinend bemerkt, dass mit dem Titel bzw. dem Künstler etwas nicht stimmen kann, denn wer sich auffällig verhält, wird unverzüglich aus den Charts entfernt oder gar nicht erst zugelassen. Die genauen Kontrollmechanismen, die von der GfK angewendet werden, werden allerdings nicht offengelegt. Die Begründung lautet, dass die Offenlegung dieser Informationen den Hackern Hinweise darauf geben würde, worauf sie achten müssen. Somit bleibt eine gewisse Unsicherheit darüber, wie Abrufzahlen und Charts genau zustande kommen. Allerdings ist es fraglich, ob es tatsächlich so einfach ist, wie von Hacker Kai beschrieben.

 Diese unfaire Machenschaften werden kaum beleuchtet und die Musiker*innen hüllen sich darüber in Schweigen – bis auf einer:

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Kool Savas packt über Chart-Manipulationen aus

Einem Rapper, dem 2020 der Kragen geplatzt ist, nachdem Shindy öffentlich dazu stand, für seinen Kollegen Laas Klicks gekauft zu haben, ist Kool Savas. Er kotzte sich auf gut Deutsch auf Twitter zu dem Thema aus und hatte kein Problem damit, „das Streaming-Kauf-Game analytisch und klar zu präsentieren. In jedem Fall ist es lustig, dreist und verbrecherisch!“ Manager*innen und Künstler*innen würden in seinen Augen wissen, dass es in den Charts nicht mit rechten Dingen zugehen würde. Laut der Rap-Legende würde es ungefähr 3.500 Euro kosten, um eine Million Premium-Streams auf Spotify zu generieren. Diese Summe entspreche etwa dem Betrag, der als Vergütung ausgezahlt wird. Er zieht daraus den Schluss, dass auf diese Weise Geld gewaschen wird. Die Methoden verurteile Savas ganz klar und vertritt seinen Standpunkt deutlich: „Mir ist es egal, wie frech ihr euch in die Charts kauft, aber gerade Gegenübern den Künstlern, bei denen es relevant ist, ob sie 15 Plätze höher oder niedriger charten, ist es ne Frechheit. Ihr manipuliert nicht nur eure, sondern auch die Karrieren anderer.“

Aber was macht das jetzt mit uns Konsument*innen?

Unabhängig von Streamingplattformen sollte man seine Lieblingsmusiker*innen unterstützen.
Quelle: IMAGO / ZUMA Wire

Wie sollte man mit den deutschen Single-Charts zukünftig umgehen?

Seitdem das Internet eine höhere Macht auf die Charts hat, hat das Buhlen, um die größte Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erlangen, stetig zugenommen. Dass jemand durch Viralität an die Spitze der Charts gelangen kann, ist – wie wir wahrscheinlich alle festgestellt haben – nicht komplett unmöglich. Aber es ist ein harter Weg, sich als Musiker*in wirklich ständig zu beweisen. Eingefleischte Musikfans werden sich vermutlich immer wieder über entsprechende Machenschaften aufregen. Aber einen wirklichen Einfluss auf die wöchentlichen Ergebnisse haben sie nur bedingt. Unterstütze deine Lieblingskünstler*innen und Bands mit den Mitteln, die dir zur Verfügung stehen. Wenn es finanziell für dich machbar ist, dann gönne dir auch ruhig mal ein Bundle. Und wenn du dann schaust, wer gerade in den Top 10 der deutschen Single-Charts steht, dann lasse einen Punkt, der hier in dem ganzen Artikel völlig außer Acht gelassen wurde, nicht unbeachtet. Denn Rapper FiNCH erwähnt immer wieder einen Faktor, der wirklich widerspiegelt, wie groß du in der Musikbranche wirklich bist. In seinem Track „DORFDiSKO ZWEi“ trifft er den Nagel eigentlich auf den Punkt: „Scheiß auf Streaming und auf Likes, denn was wirklich zählt ist live!“ Denk einfach mal darüber nach!

Jetzt bist du gefragt!

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Jetzt sei mal ganz ehrlich: Wie würdest du dich selbst als Fan einschätzen? Bist du jemand, der Musik nur auf den bekannten Streamingplattformen hört oder greifst du auch schon mal tiefer in die Tasche, um deine Lieblingsmusiker*innen zu unterstützen? Teile uns dein Verhalten via Umfrage mit!

Pinterest Pin Erst im Nachhinein wundern sich Musik-Fans über die Chartplatzierung von Ski Aggu und Twenty4tim!